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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 21.03.2006


Erna Schmidt-Caroll: Im Getriebe der großen Stadt
Rukshana Adrus-Wenner

Die Malerin und Modezeichnerin hat die mondäne Metropole der 20er und 30er Jahre in ihren Bildern aufgezeichnet. Das Museum Ephraim-Palais zeigt die Werke der vergessenen Künstlerin bis 25.06.2006




Die 1896 geborene Erna Schmidt gehört zur sogenannten "verschollenen Generation" die Teil der Avantgarde war und nach dem II. Weltkrieg nicht an frühere künstlerischen Erfolge anknüpfen konnte.

Das pulsierende, hektische Leben in der Großstadt ist ihr Thema. Das Treiben auf den Straßen, Kaffeehaus-Szenen, und die hellen Lichter der Varietés, Bars, Clubs als auch die Schattenseiten des Nachtlebens. Beim Flanieren fand sie faszinierende Frauen in raffinierten Gewändern.

In den schönen Räumen des Ephraim Palais sind über 140 Aquarelle, Bleistift- und Kreidezeichnungen aus dem Nachlass ausgestellt, der von ihrer Nichte betreut wird.
Zusätzlich sind Leihgaben aus der Kunstbibliothek, verschiedene publizierte Illustrationen aus Zeitschriften, ebenso persönliche Dokumente, Fotos und Briefe zu betrachten.

Die frühesten Arbeiten sind Zeichnungen, die Erna Schmidt als ca. 7 Jährige angefertigt hat. Schon als junges Mädchen hat sie das Leben auf der Straße genau beobachtet - die realistisch skizzierten Figuren mit ihren Kostümen sowie Schaufensterdekorationen.

Erna Schmidt hat ab 1914 in Breslau an der Kunstakademie studiert, ab 1916 in Berlin an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums, wo sie davor auch als Modezeichnerin gearbeitet hat. Nach ihrem Studium 1920 nahm sie die Künstlername Caroll an.
Ab 1922 war sie zwanzig Jahre als Lehrerin an der renommierten privaten Berliner Schule Reimann tätig. Hier leitete sie die Klasse für Modeentwurf, später Theater-Figurinen und Aktstudium. Gleichzeitig war sie auch als freischaffende Künstlerin tätig und beteiligte sich ab 1928 an mehrere Ausstellungen.

Die Künstlerin hat die Schauplätze auf ihren Spaziergängen schnell und spontan skizziert, zum Teil karikaturhaft überzeichnet. Paare und PassantInnen, das Kommen und Gehen der Menschen, Cafe und Restaurants, Verkehr - flüchtige Augenblicke festgehalten. Ebenso wie die Berliner KünstlerInnen Jeanne Mammen, Otto Dix, George Grosz und andere hat sie das Großstadtleben der Weimarer Republik ins Szene gesetzt.
Bei nächtlichen Streifzügen fand sie in expressiven Farbigkeiten das Pulsierende, quirlige Unterhaltung und Zerstreuung in Cabarets, Revuen, im Zirkus mit ihren Gaukler, Chansonetten und ArtistInnen, Revuetänzerinnen, Tingeltangel. Die andere Seite - die Einsamkeit und Anonymität in der Großstadt, sind sehr dezent angedeutet.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurden die Arbeitsbedingungen härter, da die Schule nach und nach "arisiert" wurde. In der Zeit der inneren Emigration hat sie sich zu Natur- und Landschaftsdarstellungen hingewendet. Ein Teil ihres Oeuvres bleibt bis jetzt verschollen. In ihrer zweiten Lebenshälfte blieb ihr Anschluss am Kunstleben verwehrt. Durch ihr unstetes Leben in möblierten Zimmer und unsichere berufliche Perspektiven starb Erna Schmidt-Caroll, fast vergessen, nach schwerer Erkrankung in 1964.

Umso erfreulicher ist es, ihre Arbeiten erstmals aus dem Höhepunkt ihres Schaffen als hochaktuelle Großstadt-Motive in Berlin seit siebzig Jahren sehen zu können.


Museum Ephraim-Palais - Stiftung Stadtmuseum Berlin
Poststraße 16,10178 Berlin
Tel. (030) 24002-121
Öffnungszeiten: Di, Do-So: 10-18 Uhr, Mi: 12-20 Uhr, Mo: geschl.
Eintritt: 3,00 Euro, erm. 1,50 Euro, Mi Eintritt frei
Führungen: jeweils 18 Uhr am 5.4., 19.4., 3.5., 17.5.2006

Weitere Informationen zur Ausstellung erhalten Sie unter: www.stadtmuseum.de


Monographie:
Erna Schmidt-Caroll 1896-1964
Kettler Kunst, Bönen 2003,
34,00 Euro an der Museumskasse


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Beitrag vom 21.03.2006

AVIVA-Redaktion